„Ich durfte mich damals kaum auf den Wochenmarkt trauen.“
Ohlstedt damals: Schon einmal, in den 90ern, sah sich Hamburg einer massiven Flüchtlingswelle ausgesetzt. Damals war die Hilfsbereitschaft in Ohlstedt keineswegs auf Anhieb so hoch wie heute. GO-NG! traf den inzwischen pensionierten Lehrer Jochen Elbers zum Exklusiv-Interview. Er gab Auskunft über die damaligen Erlebnisse und Komplikationen aus der Zeit der ersten großen Asylbewerberwelle, die Ohlstedt erlebte.
GO-NG!: Was war Ihre persönliche Meinung dazu, dass die Asylbewerber an unsere Schule kamen und könnten Sie uns ein paar damalige Erlebnisse schildern?
Elbers: Ich fand das völlig in Ordnung. Es gab damals eine Mehrheitsmeinung im Kollegium, zu dessen Mitgliedern meine Frau und ich auch gehörten, die sich in dieser Angelegenheit für die Asylbewerber engagiert haben. Auch eine Menge Schüler haben sich ganz toll engagiert. Die Container sollten eigentlich in der Schule am Walde aufgestellt werden, doch dort haben sich die Eltern heftig gewehrt. Sie haben Schulboykott betrieben und ihre Kinder ein bis zwei Tage nicht zur Schule geschickt. (Schmunzelt) Ich habe mich damals bei vielen Eltern, speziell in Ohlstedt, unbeliebt gemacht, weil ich meine Kinder, die zu diesem Zeitpunkt auf der Schule am Walde waren, zum Unterricht gebracht habe. Dort standen dann natürlich Reporter und so bin ich dann mit meinen Kindern auf ein Foto in der Morgenpost (Hamburger Tageszeitung) gekommen, das dann natürlich viele gesehen haben. Die BILD hatte damals auch behauptet, dass ich ihnen ein Interview gegeben hätte. Das habe ich aber gar nicht getan.
Trotzdem haben sie irgendwelche Sätze von mir abgedruckt. Das war damals wirklich heftig: Die Eltern haben nachts ihre Autos vor die Schule gestellt, damit die Regierung nicht heimlich dort Container aufbaut. Und dort hockten dann auch die Eltern und einige meiner Oberstufenschüler haben sie gefragt, was sie denn dort machen würden und die Eltern antworteten: „Wir wollen nicht, dass die Ausländer an unsere Schule kommen!“ Als dann einige meiner Schüler, vor allem jene, die selber Immigranten als Eltern hatten, sagten, dass sie das nicht gut finden würden, hieß es gleich: „Ihr habt bestimmt bei Herrn Elbers Unterricht. Der hat euch doch beeinflusst!“ Schließlich gab es in der Pausenhalle von der Schule am Walde ein großes Treffen, auf dem der damalige Schulleiter von uns, Herr Sönichsen, sagte: „Ich habe einen Kompromissvorschlag: Wir stellen die Container nicht in der Grundschule (Schule am Walde), sondern bei uns im Gymnasium auf dem Lehrerparkplatz auf.“
Auch damit waren viele Eltern nicht zufrieden. Bei einem weiteren Treffen an unserer Schule wurde ich dann mit Aussagen wie, „Sie sind doch gar kein Vater! Sie sind nur Lehrer! Sie dürfen hier gar nicht reden!“, konfrontiert. Und auch auf dem Wochenmarkt, wo Eltern mit quietschenden Autoreifen neben mir stehen blieben, wurde ich mit ähnlichen Aussagen konfrontiert.
GO-NG!: Aber Sie waren weiterhin der Meinung, dass es gut war, die Asylbewerber nach Ohlstedt bringen zu wollen?
Elbers: Ich fand´s gut und zum Glück fanden es auch die meisten Lehrer gut. Und auch die meisten Schüler fanden es gut, was am Ende sogar ausschlaggebend war. Denn der Schülerrat sagte damals den Eltern: „Das ist unsere Schule! Und wir finden das gut! Wir möchten uns auch engagieren. Wir möchten mithelfen.“ Und so kamen die dann erst einmal auf den Lehrerparkplatz am Gymnasium.
GO-NG!: Sie haben eben erwähnt, dass sich die meisten Schüler sehr engagiert haben. In welcher Form haben sich die Schüler, außer in ihrem klaren Bekenntnis zu den Asylbewerbern, noch für diese engagiert?
Elbers: Nachdem die Container aufgestellt worden waren, standen sie zum Beispiel beim Kommen der Asylbewerber da und hielten Blumen in den Händen um sie zu empfangen. Und dann haben wir einiges organisiert: Wir haben zum Beispiel mit ihnen Feste gefeiert oder uns am Wochenende zum Sport in unserer Halle getroffen und zusammen Fußball gespielt. Außerdem haben wir ihnen mit wichtigen Formularen oder anderen, für sie sprachlich schwer zu bewältigenden, Dingen geholfen. Das hat dann in Ohlstedt auch nicht so lange gedauert. Nach ein paar Wochen hatte unser Schulleiter die sogenannte „Töpferwiese“ zur Verfügung. Es gab damals einen ziemlich reichen Mann in Ohlstedt, der Töpfer hieß. Und der besaß eine Wiese am Rande von Ohlstedt in Richtung Hoisbüttel. Er hat dann gesagt: „Da können die hin.“
GO-NG!: Wie lange waren die Asylanten denn genau bei uns, bis sie auf die „Töpferwiese“ durften?
Elbers: Das weiß ich gar nicht mehr so genau. Ich würde sagen, dass sie circa zwei Monate bei uns waren. Denn dieses Gelände, das ein paar hundert Meter entfernt lag, musste auch erst einmal vorbereitet werden: Wege, Fundamente und Kanalisation zum Beispiel. Nachdem sie dort hingezogen sind, ist der Kontakt aber überhaupt nicht abgebrochen. Es gab unter den Asylbewerbern natürlich auch einige, die weniger sympathisch waren, aber mit den meisten sind wir richtig gut klar gekommen.
GO-NG!: Hat sich, seit die Asylbewerber hier waren, in Ihrer Laufbahn als Lehrer etwas verändert?
Elbers: Nein, eigentlich nicht. Die Lage in Ohlstedt hat sich dann sehr bald beruhigt, denn nach ein oder zwei Jahren waren die Asylbewerber auch wieder von der „Töpferwiese“ weg. Und ich glaube nicht, dass mich das als Lehrer damals besonders schwer belastet hat. (Überlegt) Meine Pensionierung liegt ja auch noch nicht so lange zurück und die hatte mit den damaligen Erlebnissen natürlich überhaupt nichts zu tun.
GO-NG!: Wissen Sie, wo die Asylbewerber, nach dem Weggang von der „Töpferwiese“, untergekommen sind?
Elbers: Ich weiß es nicht so genau. Ich habe damals mit einer Migrationsbeauftragten von der Nordelbischen-Kirche gesprochen und die hat mir erzählt, dass sie in verschiedenen Asylbewerber-Unterkünften untergekommen sind. Manche von ihnen durften auch in Deutschland bleiben und haben sich tatsächlich mit Wohnung und Job in Hamburg angesiedelt. Es gab natürlich auch welche, deren Antrag abgelehnt worden ist und die in ihre Heimat zurück geschickt wurden.
GO-NG!: Haben sich die Asylbewerber, die in Deutschland bleiben durften, denn jemals wieder bei der Schule gemeldet?
Elbers: Ja, es gab tatsächlich ein paar. Das waren in erster Linie Familien, die mit Eltern und Kindern in diesen Containern wohnten. Und die waren, glaube ich, besonders glücklich darüber, dass zum Beispiel Kleidersammlungen gemacht wurden. Da gab es dann auch einige, die noch einmal in die Schule kamen und ein kleines Geschenk oder einen Blumenstrauß mitbrachten. Das gab es schon.
GO-NG!: Vielen Dank, für das Interview!
Das Interview führte Lars-Gerrit Bengtson