GO-NG! Politik im Dialog (1)
Die Woche am GO begann politisch. Dem gerade vor wenigen Monaten mit über 70% wiedergewählten Schulsprecherteam und seinem politischen Engagement ist es zu verdanken, dass zum Wochenbeginn eine Politik-Doppelstunde der besonderen Art stattfinden konnte. Fünf Hamburger Volksvertreter (SPD, Grüne, CDU, LINKE, FDP) waren der Einladung an unsere Schule gefolgt. Die AfD sah sich leider trotz Einladung nicht in der Lage, einen geeigneten Vertreter zu entsenden.
Die geladenen Abgeordneten trafen auf rund 300 interessierte und gut vorbereitete Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 10-12. Insbesondere in den englischsprachigen Politikprofilen (International Studies) waren zahlreiche Fragen zu landespolitischen Themen gesammelt worden, denen sich die Bürgerschaftsabgeordneten stellten. Dabei waren jederzeit auch Nachfragen aus dem Plenum erlaubt, von denen die interessierten Jungwähler gern Gebrauch machten.
Das gescheiterte Olympia-Referendum bot den Einstieg in die politische Fragestunde. Mit Ausnahme der LINKEN (Norbert Hackbusch) mochte sich keiner der Parteienvertreter über die verpasste Olympiabewerbung freuen. Die Opposition (Dennis Thering, CDU & Michael Kruse, FDP sowie Norbert Hackbusch von den LINKEN) machte vor allem Defizite im Finanzierungskonzept des Hamburger Senates für das Scheitern der Bewerbung verantwortlich. Die Vertreter der Regierungsseite (Tim Stoberock, SPD und Christiane Blömeke , DIE GRÜNEN) sahen die Erklärung eher in der Verunsicherung der Bürger durch Flüchtlingskrise und Terrorgefahr.
Zum Thema Flüchtlinge in Hamburg lobten alle Beteiligten das ehrenamtliche Engagement der Hamburger Bürgerinnen und Bürger. Die Opposition kritisierte mangelnde Beteiligung der Bürger bei der Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften und zu wenig Nutzung leerstehender Immobilien. Die Regierungsseite unterstrich die existentielle Not der Flüchtlinge, die langwierige Bürgerbeteiligung häufig unmöglich mache. Alle Volksvertreter waren sich einig, „dass Hamburg noch nicht am Limit“ sei und noch weitere Flüchtlinge aufnehmen könne und bekannten sich zum Recht auf Asyl (besonders leidenschaftlich Kruse, FDP und Blömeke, GRÜNE). Zur Überraschung der 300 Zuschauerinnen und Zuschauer lobte Hackbusch (DIE LINKE) Kanzlerin Angela Merkel für ihr humanitäres Bekenntnis „Wir schaffen das!“. Er sei erstmalig stolz auf seine Kanzlerin gewesen. Selbstkritisch sah Parteikollege Thering (CDU) die Worte der CDU-Kanzlerin, die er als einen „Fehler“ bezeichnete, der eingestanden werden müsse.
Das Thema Wohnungsbau und „Gentrification“ wurde differenziert erörtert. Alle Parteienvertreter erkannten Chancen und Risiken und betonten die staatliche Verantwortung bei der Schaffung von mehr Wohnraum. Auch FDP-Mann Kruse bekannte sich hier zu sozialliberalen Sichtweisen und wollte den Staat beim Wohnungsbau nicht gänzlich aus der Verantwortung lassen, Christiane Blömeke (GRÜNE) lobte die positiven Effekte der Mietpreisbremse.
Am Schluss wurde noch die Frage diskutiert, ob Volksentscheide eher als ein „lästiges Übel“ oder eine Verbesserung in Richtung „Demokratie 2.0“ zu betrachten seien. Alle Volksvertreter bekannten sich dabei zu Plebisziten und betonten, dass der Bürgerwille auch dann zu respektieren sei, wenn unpopuläre Entscheidungen gegen den politischen Mainstream getroffen würden, betrachteten Plebiszite als legitimes Korrektiv der parlamentarischen Demokratie.
Diese Politik-Doppelstunde der besonderen Art kam bei allen Beteiligten gut an als ein überzeugendes Stück gelebter Demokratie.
Die Schulsprecher kündigten – bestärkt durch den Erfolg ihrer Veranstaltung – an, weitetere Fachpolitiker auf Bundes- und Europaebene unter der Überschrift „POLITIK IM DIALOG“ einladen zu wollen und die geplante Veranstaltungsserie um eine Reihe „WIRTSCHAFT IM DIALOG“ zu ergänzen.
Wir sind gespannt…
GO-NG! Flüchtlinge in Ohlstedt – ein Blick zurück…
„Ich durfte mich damals kaum auf den Wochenmarkt trauen.“
Ohlstedt damals: Schon einmal, in den 90ern, sah sich Hamburg einer massiven Flüchtlingswelle ausgesetzt. Damals war die Hilfsbereitschaft in Ohlstedt keineswegs auf Anhieb so hoch wie heute. GO-NG! traf den inzwischen pensionierten Lehrer Jochen Elbers zum Exklusiv-Interview. Er gab Auskunft über die damaligen Erlebnisse und Komplikationen aus der Zeit der ersten großen Asylbewerberwelle, die Ohlstedt erlebte.
GO-NG!: Was war Ihre persönliche Meinung dazu, dass die Asylbewerber an unsere Schule kamen und könnten Sie uns ein paar damalige Erlebnisse schildern?
Elbers: Ich fand das völlig in Ordnung. Es gab damals eine Mehrheitsmeinung im Kollegium, zu dessen Mitgliedern meine Frau und ich auch gehörten, die sich in dieser Angelegenheit für die Asylbewerber engagiert haben. Auch eine Menge Schüler haben sich ganz toll engagiert. Die Container sollten eigentlich in der Schule am Walde aufgestellt werden, doch dort haben sich die Eltern heftig gewehrt. Sie haben Schulboykott betrieben und ihre Kinder ein bis zwei Tage nicht zur Schule geschickt. (Schmunzelt) Ich habe mich damals bei vielen Eltern, speziell in Ohlstedt, unbeliebt gemacht, weil ich meine Kinder, die zu diesem Zeitpunkt auf der Schule am Walde waren, zum Unterricht gebracht habe. Dort standen dann natürlich Reporter und so bin ich dann mit meinen Kindern auf ein Foto in der Morgenpost (Hamburger Tageszeitung) gekommen, das dann natürlich viele gesehen haben. Die BILD hatte damals auch behauptet, dass ich ihnen ein Interview gegeben hätte. Das habe ich aber gar nicht getan.
Trotzdem haben sie irgendwelche Sätze von mir abgedruckt. Das war damals wirklich heftig: Die Eltern haben nachts ihre Autos vor die Schule gestellt, damit die Regierung nicht heimlich dort Container aufbaut. Und dort hockten dann auch die Eltern und einige meiner Oberstufenschüler haben sie gefragt, was sie denn dort machen würden und die Eltern antworteten: „Wir wollen nicht, dass die Ausländer an unsere Schule kommen!“ Als dann einige meiner Schüler, vor allem jene, die selber Immigranten als Eltern hatten, sagten, dass sie das nicht gut finden würden, hieß es gleich: „Ihr habt bestimmt bei Herrn Elbers Unterricht. Der hat euch doch beeinflusst!“ Schließlich gab es in der Pausenhalle von der Schule am Walde ein großes Treffen, auf dem der damalige Schulleiter von uns, Herr Sönichsen, sagte: „Ich habe einen Kompromissvorschlag: Wir stellen die Container nicht in der Grundschule (Schule am Walde), sondern bei uns im Gymnasium auf dem Lehrerparkplatz auf.“
Auch damit waren viele Eltern nicht zufrieden. Bei einem weiteren Treffen an unserer Schule wurde ich dann mit Aussagen wie, „Sie sind doch gar kein Vater! Sie sind nur Lehrer! Sie dürfen hier gar nicht reden!“, konfrontiert. Und auch auf dem Wochenmarkt, wo Eltern mit quietschenden Autoreifen neben mir stehen blieben, wurde ich mit ähnlichen Aussagen konfrontiert.
GO-NG!: Aber Sie waren weiterhin der Meinung, dass es gut war, die Asylbewerber nach Ohlstedt bringen zu wollen?
Elbers: Ich fand´s gut und zum Glück fanden es auch die meisten Lehrer gut. Und auch die meisten Schüler fanden es gut, was am Ende sogar ausschlaggebend war. Denn der Schülerrat sagte damals den Eltern: „Das ist unsere Schule! Und wir finden das gut! Wir möchten uns auch engagieren. Wir möchten mithelfen.“ Und so kamen die dann erst einmal auf den Lehrerparkplatz am Gymnasium.
GO-NG!: Sie haben eben erwähnt, dass sich die meisten Schüler sehr engagiert haben. In welcher Form haben sich die Schüler, außer in ihrem klaren Bekenntnis zu den Asylbewerbern, noch für diese engagiert?
Elbers: Nachdem die Container aufgestellt worden waren, standen sie zum Beispiel beim Kommen der Asylbewerber da und hielten Blumen in den Händen um sie zu empfangen. Und dann haben wir einiges organisiert: Wir haben zum Beispiel mit ihnen Feste gefeiert oder uns am Wochenende zum Sport in unserer Halle getroffen und zusammen Fußball gespielt. Außerdem haben wir ihnen mit wichtigen Formularen oder anderen, für sie sprachlich schwer zu bewältigenden, Dingen geholfen. Das hat dann in Ohlstedt auch nicht so lange gedauert. Nach ein paar Wochen hatte unser Schulleiter die sogenannte „Töpferwiese“ zur Verfügung. Es gab damals einen ziemlich reichen Mann in Ohlstedt, der Töpfer hieß. Und der besaß eine Wiese am Rande von Ohlstedt in Richtung Hoisbüttel. Er hat dann gesagt: „Da können die hin.“
GO-NG!: Wie lange waren die Asylanten denn genau bei uns, bis sie auf die „Töpferwiese“ durften?
Elbers: Das weiß ich gar nicht mehr so genau. Ich würde sagen, dass sie circa zwei Monate bei uns waren. Denn dieses Gelände, das ein paar hundert Meter entfernt lag, musste auch erst einmal vorbereitet werden: Wege, Fundamente und Kanalisation zum Beispiel. Nachdem sie dort hingezogen sind, ist der Kontakt aber überhaupt nicht abgebrochen. Es gab unter den Asylbewerbern natürlich auch einige, die weniger sympathisch waren, aber mit den meisten sind wir richtig gut klar gekommen.
GO-NG!: Hat sich, seit die Asylbewerber hier waren, in Ihrer Laufbahn als Lehrer etwas verändert?
Elbers: Nein, eigentlich nicht. Die Lage in Ohlstedt hat sich dann sehr bald beruhigt, denn nach ein oder zwei Jahren waren die Asylbewerber auch wieder von der „Töpferwiese“ weg. Und ich glaube nicht, dass mich das als Lehrer damals besonders schwer belastet hat. (Überlegt) Meine Pensionierung liegt ja auch noch nicht so lange zurück und die hatte mit den damaligen Erlebnissen natürlich überhaupt nichts zu tun.
GO-NG!: Wissen Sie, wo die Asylbewerber, nach dem Weggang von der „Töpferwiese“, untergekommen sind?
Elbers: Ich weiß es nicht so genau. Ich habe damals mit einer Migrationsbeauftragten von der Nordelbischen-Kirche gesprochen und die hat mir erzählt, dass sie in verschiedenen Asylbewerber-Unterkünften untergekommen sind. Manche von ihnen durften auch in Deutschland bleiben und haben sich tatsächlich mit Wohnung und Job in Hamburg angesiedelt. Es gab natürlich auch welche, deren Antrag abgelehnt worden ist und die in ihre Heimat zurück geschickt wurden.
GO-NG!: Haben sich die Asylbewerber, die in Deutschland bleiben durften, denn jemals wieder bei der Schule gemeldet?
Elbers: Ja, es gab tatsächlich ein paar. Das waren in erster Linie Familien, die mit Eltern und Kindern in diesen Containern wohnten. Und die waren, glaube ich, besonders glücklich darüber, dass zum Beispiel Kleidersammlungen gemacht wurden. Da gab es dann auch einige, die noch einmal in die Schule kamen und ein kleines Geschenk oder einen Blumenstrauß mitbrachten. Das gab es schon.
GO-NG!: Vielen Dank, für das Interview!
Das Interview führte Lars-Gerrit Bengtson